Was krumm ist, wird heil gemacht;
Was gebeugt ist, wird aufgerichtet;
Was hohl ist, wird ausgefüllt;
Was zerschlissen, wird neu gemacht.
Mit wenigem wirst du bekommen;
Mit vielem bist du beklommen.
Lao-tse – Kapitel 22 Ausschnitt
Was bedeutet diese Zeilen?
Dieser Abschnitt beschreibt eine der zentralen Denkweisen des Daoismus: das Prinzip der Umkehr, des Fließens, der Nicht-Anhaftung, und des Werdens durch Loslassen.
Die Kraft des Paradoxen
- „Was krumm ist, wird heil gemacht“ – Die Schwäche, das Unvollkommene ist nicht Fehler, sondern Weg zur Ganzheit.
- „Was gebeugt ist, wird aufgerichtet“ – Wer sich demütigt, wird aufgerichtet (ähnlich wie Jesus sagt: „Die Letzten werden die Ersten sein“).
- Lao-Tse zeigt: Die Welt funktioniert nicht nach starren Gegensätzen (richtig/falsch, stark/schwach), sondern im dynamischen Gleichgewicht.
Weniger ist mehr
- „Mit wenigem wirst du bekommen; mit vielem bist du beklommen“
→ Besitz, Anhäufung, Kontrolle führen oft zu Belastung.
→ Wer wenig braucht, lebt leichter, innerlich freier.
→ Das ist eine tiefe Kritik an materialistischer Gier und Streben.
Logik, Fanatismus, Möglichkeit
- Lao-Tse stellt sich gegen starr logisches, lineares Denken.
→ Statt Ursache → Wirkung: eher Wandel, Paradox, Balance. - Fanatismus ist Fixierung — Lao-Tse bietet das Gegenteil: Loslassen, Mitfließen, Vertrauen ins Nichtwissen.
- Möglichkeit entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch Leere, Offenheit, Raum.
Was kannst du mitnehmen?
- Nicht alles, was schwach erscheint, ist es.
→ Auch das Gebrochene, das Krumme hat Potenzial zur Heilung. - Lerne, mit dem Wandel zu gehen, statt dich ihm zu widersetzen.
- Wert liegt im Leeren, im Nicht-Sein — dort ist Platz für Neues.